KI: Nur ein Hype oder immer noch unterschätzt?

Dieser Beitrag wurde zuletzt am 22. Mai 2025 aktualisiert.

Während für den neuen Papst Leo XIV. der Umgang mit Künstlicher Intelligenz (KI) als die bedeutendste industrielle Revolution unserer Zeit gilt, beschäftigen sich die meisten Deutschen letzte Woche laut Google Trends bevorzugt mit „Naddel“ oder dem „ESC“. Selbst weltweit schafft es „ChatGPT“ gerade einmal auf Platz 13 der meistgesuchten Google-Begriffe des vergangenen Jahres, in Deutschland sogar nur auf Platz 16, hinter „NTV“ und „Google Maps”. Ja, zugegeben, hier werden Äpfel mit Tomaten verglichen. Doch der Kontrast zeigt auch: Für die breite Öffentlichkeit bleibt KI häufig noch ein abstraktes und schwer greifbares Thema. Können wir uns also beruhigt zurücklehnen und den Hype vergessen? Ganz sicher nicht.

Gartner Hype Cycle – Mehr als ein bloßes Trendbarometer

Ein Blick auf den „Gartner Hype Cycle“ zeigt, dass viele Technologien im Bereich der KI weit entfernt von ihrem optimalen Produktivitätsplateau sind. Das Modell beschreibt dabei fünf Phasen, die Technologien typischerweise durchlaufen: den technologischen Auslöser, den Gipfel der überzogenen Erwartungen, das Tal der Enttäuschungen, den Pfad der Erleuchtung und schließlich das Plateau der Produktivität. Doch es sei gleich gewarnt: Der Standort der Entwicklung sagt wenig darüber aus, ob die Anwendung auch lohnenswert ist, das hängt von zahlreichen Faktoren ab und ist überaus individuell. Es ist durchaus denkbar, dass sich ein Unternehmen bereits in einem frühen Stadium massive Wettbewerbsvorteile gegenüber Wettbewerbern durch die Anwendung einer neuen Technologie verschafft.

Abbildung: Vier exemplarische Anwendungen aus dem Bereich der KI

Vier exemplarische KI-Technologien zeigen, die Bandbreite der Entwicklungen und Reife

1. Retrieval-Augmented Generation (RAG)
RAG kombiniert große Sprachmodelle (LLMs) mit externen (also etwa unternehmenseigenen) Datenquellen, um präzisere, aktuellere und auf die Bedürfnisse der Anwender zugeschnittene Antworten zu generieren. Bei gut kuratieren Inhalten reduziert das zudem die Wahrscheinlichkeit von Halluzinationen und ermöglicht domänenspezifische Informationen (etwa interne Informationen eines Unternehmens) einzubeziehen.
RAG ist dennoch in einer frühen Phase, befindet sich aktuell in einem Hype. Obwohl die Technologie bereits heute relativ einfach zu implementieren und zu nutzen ist, ist weder technologisch noch faktisch das Potential nur annährend ausgeschöpft. Die Technologie verbindet Sprachmodelle mit eigenen und dritten Datenquellen, um präzisere, spezifische Antworten zu liefern – die Menge an Anwendungsfällen, etwa für den Kundensupport, das Wissensmanagement und die Forschung ist schier endlos.

2. Generative KI
Generative KI, mit ChatGPT als großer und insbesondere populärer Durchbruch gefeiert, ist im „Tal der Enttäuschungen“ angelangt. Viele Unternehmen kämpfen derzeit mit Herausforderungen bei der Implementierung. Dennoch bietet sie erhebliches Potenzial in der automatischen Erstellung von Texten, Bildern und personalisierten Inhalten. Die Technologie und ihre Anbieter sind hochdynamisch und insbesondere durch das Beispiel von Deepseek, sind die Modelle nun in der Lage frühzeitig zusätzliche Module – etwa für die Lösung von Spezialaufgaben – wie etwa mathematische Aufgaben, zu übernehmen. Sie werden dadurch effizienter, schneller und vor allem zulässiger. Die zunächst rein sprachlich kompetenten Modelle werden vielseitig und universeller, ohne, dass sie eine ihrer Kernkompetenz – die sprachlichen Fähigkeiten – verlieren.

3. Cloud AI Services
Diese Dienste stecken ebenfalls im „Tal der Enttäuschungen“, geplagt von hohen Kosten und Integrationsproblemen, die oftmals Infrastrukturprobleme sind. Dennoch bleiben sie attraktiv für die Skalierung von KI-Anwendungen und Echtzeit-Datenanalyse durch Machine Learning Operations (MLOps) etwa für die Verwaltung und Überwachung von Use Cases in der Produktion.

4. Computer Vision
Computer Vision, ist ein Bereich der Künstlichen Intelligenz (KI), der es Maschinen ermöglicht, visuelle Daten wie Bilder und Videos zu verarbeiten und zu verstehen, ähnlich wie ein Mensch. Mit Hilfe von maschinellem Lernen, insbesondere Deep Learning, können Computer Objekte erkennen, Muster identifizieren und Entscheidungen auf Basis von visuellen Informationen treffen. Dieser Bereich ist deutlich weiterentwickelt. Die Technik liefert bereits realen Mehrwert in der Qualitätssicherung, Sicherheitsüberwachung und insbesondere auch medizinischer Diagnostik.

Eric Schmidts Blick auf den Hype: Die unterschätzte KI-Revolution

In einem kürzlich erschienen Interview argumentiert Eric Schmidt, ehemaliger CEO von Google, eindrucksvoll, dass die KI-Revolution sogar noch weit unterschätzt wird. Der Wendepunkt war für ihn 2016, als AlphaGo einen Zug spielte, den Menschen in 2.500 Jahren nie gezogen hatten. Seitdem schreitet die Entwicklung rasant voran, jedoch meist unbemerkt von der Öffentlichkeit, die KI oftmals „nur“ als ChatGPT erlebt.

Schmidt betont, dass die tiefgreifendsten Veränderungen durch Reinforcement Learning und autonome KI-Agenten sehr schnell kommen werden. Sie unterstützen nicht nur Prozesse, sondern können sie auch vollständig automatisieren, so dass Agenten wie zuverlässige Mitarbeiter handeln – und das 24 Stunden am Tag und sieben Tage in der Woche. Allerdings stehen wir vor erheblichen Herausforderungen, wie enormen Energiebedarfen für Rechenzentren und ethischen Fragen rund um Autonomie und Überwachung. Für Unternehmen sind hier in den nächsten Jahren Produktivitätssprünge von jährlich 30% zu erwarten, die für viele noch außerhalb ihrer Vorstellungen liegen und deshalb besonders bedrohlich sind.

Die geopolitischen Risiken, speziell zwischen den USA und China, könnten zu gefährlichen Spannungen führen – Schmidt spricht von einem möglichen „Superintelligence Gap“, der zu realen Konflikten führen könnte. Dennoch überwiegen für ihn die Chancen: In der Medizin könnte KI alle schweren Krankheiten gezielt bekämpfen, in der Bildung könnte sie weltweit personalisierte Tutoren ermöglichen und in der Materialwissenschaft revolutionäre Innovationen hervorbringen.

Schmidts Empfehlung ist eindeutig: KI ist kein Sprint, sondern ein Marathon. Unternehmen, die jetzt nicht investieren, werden irrelevant.

Frühzeitig investieren – ein Muss für Bürger und Unternehmen

Was bedeutet das für uns, den normalen Bürger oder Unternehmer? Die klare Antwort lautet: Handeln! Unternehmen sollten dringend in ihre intellektuelle Infrastruktur investieren – vom Aufbau einer klaren Datenstrategie und KI-Kompetenzen in der Führungsebene bis hin zur Einrichtung von Cross-Functional AI-Teams und experimentellen Umgebungen (AI Sandboxes).

Für die breite Gesellschaft bedeutet dies, ein Verständnis für die Dringlichkeit des Themas zu entwickeln, Bildungschancen zu nutzen und frühe Leuchtturmprojekte zu fördern. KI wird unsere Lebens- und Arbeitswelt nachhaltig und auch schnell verändern, und diejenigen, die sich frühzeitig darauf einstellen, werden am meisten profitieren.

Meine Handlungsempfehlungen für Berater und Manager

I. Strategische Positionierung

  • Erkenne KI als Kernstrategie: KI ist nicht IT, sondern eine Management- und Geschäftsmodellfrage. Unternehmen, die das nicht verstehen, werden abgehängt.
  • Baue KI-Kompetenz in der Geschäftsleitung auf: Entscheidungsträger müssen mindestens ein funktionales Grundverständnis über agentenbasierte Systeme, Reinforcement Learning und Datenstrategie entwickeln.
  • Stärke auch die Veränderungskompetenz deines Unternehmens und seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Wissen wird dank KI immer schneller und hochwertiger verfügbar sein, es bedarf aber besonderer Kompetenzen das Wissen wertschöpfend einzusetzen.

II. Umsetzung in der Organisation

  • Identifiziere Prozesse mit hohem Automatisierungspotenzial: Beginne mit Use Cases mit schnellem ROI (z. B. Kundenservice, interne Anfragen, Dokumentation).
  • Etabliere KI-Teams crossfunktional: KI gehört nicht nur in die IT. Teams aus Fachbereichen, Datenwissenschaft und operativer Führung sind notwendig.
  • Entwickle ein System für experimentelle Nutzung: Ein „AI Sandbox“-Umfeld ermöglicht schnelle Iterationen ohne Produktionsrisiko.

III. Infrastruktur und Ökosystem

  • Investiere in Datenqualität und -verfügbarkeit: Eine robuste Datenstrategie ist der Engpass fast aller KI-Initiativen.
  • Bereite dich auf Rechenintensität vor: Überlege, ob dein Unternehmen langfristig Zugriff auf Cloud-Ressourcen oder lokale Inferenz benötigt.
  • Plane für Governance und Transparenz: Dokumentiere und beobachte KI-Entscheidungen, insbesondere bei agentenbasierten Systemen.

IV. Leadership und Kultur

  • Trainiere Führungskräfte im Umgang mit KI: Nicht nur technologisches, sondern auch ethisches und geopolitisches Verständnis wird essenziell.
  • Stärke die Innovationskultur: Ermutige zum Experimentieren, scheitern und schnellen Lernen.
  • Beziehe Belegschaft in Transformation ein: Nimm Ängste ernst, kommuniziere klar die Rollenverschiebung – von Arbeit durch Menschen zu Arbeit mit Maschinen.

V. Geopolitik und Ethik im Blick behalten

  • Achte auf Open-Source-Risiken: Beurteile genau, welche Modelle sicher in deiner Organisation einsetzbar sind.
  • Definiere Exit-Strategien für gefährliche Systeme: Notfallpläne bei unvorhersehbaren autonomen Entscheidungen sind Pflicht.

Die wahre Revolution der Künstlichen Intelligenz hat gerade erst begonnen.

Quellen: