Erfolgreiche Digitalisierung im Mittelstand

Dieser Beitrag wurde zuletzt am 29. Oktober 2020 aktualisiert.

Das Alexander von Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft hat zusammen mit der Sirius Minds GmbH Beispiele von Mittelständlern gesucht, die in ihrem Unternehmen Digitalisierung erfolgreich umgesetzt haben – und daraus abgeleitet, dass der Mittelstand nicht grundsätzlich hinterher hängt, sondern durchaus auch mit angemessenem Aufwand wertschöpfende Projekte umsetzt.

Die Macher der Studie leiten aus den Ergebnissen drei Thesen ab:

  1. Zum einen verfolgen die Projekte der Mittelständler keine Standardlösung, auf die eventuell auch der Wettbewerb setzt, sondern hatten immer spezifische Probleme und deren Lösung als Ziel. Es gibt also selten ein einfaches Erfolgsrezept für die digitale Transformation im Mittelstand.
  2. Mittelständische Unternehmen müssen mehr wagen: Zwar genießt deutsche Qualität einen guten Ruf, doch diese zu produzieren, erfordert langwierige Prozesse. Die digitale Transformation müsse aber dynamischer sein, mit experimentellen Ideen früher an den Markt gehen und näher am Kunden arbeiten. Deshalb, so resümiert die Studie, fällt es Mittelständlern zuweilen einfacher, digitale Projekte umzusetzen, denn hier herrschen oft kurze Entscheidungswege, flache Hierarchien, Kundennähe und eine größere Fehlertoleranz.
  3. Die Kundennähe ist ein entscheidender Vorteil für den Mittelstand: Denn hier wurde zuerst nach Problemen im Bestandsgeschäft gesucht und dafür Lösungen entwickelt. Bei Großunternehmen dagegen werden oft zuerst ganze Abteilungen neu gegründet, neues Personal eingestellt, und dann erst überlegt, welche Herausforderungen man lösen möchte. Die Herausforderung des Mittelstands, solche Investitionen gar nicht leisten zu können, führt im Umkehrschluss zu schnellen, unkomplizierten Lösungen nah am Kunden.

Die Studie ist frei einsehbar, sie wir ergänzt durch fünf Fallbeispiele, die auch in kurzen Videos dargestellt werden.

Fallbeispiel 1: Eine App für die Müllentsorgung
Das Unternehmen: EMZ Hanauer produziert Sensoren und Bauteile für Haushaltsgeräte und beschäftigt etwa 1.000 Mitarbeiter. Ein Bereich beschäftigt sich auch mit der städtischen Müllentsorgung und dem Zugang zu Müllcontainern.

Das Digitalisierungsprojekt: Bisher hatten Kunden von EMZ mittels elektronischer Schlüssel Zugriff auf Müllcontainer. Das hat das Unternehmen durch eine App ersetzt. Auch die Rechnung erhalten die Kunden jetzt digital.

Die Umsetzung: EMZ setzte bei der Umsetzung auf ein heterogenes Team im Unternehmen. Sie arbeiteten nah mit den Kunden zusammen und investierten erst nach positivem Feedback eine größere Summe in Prototypen. Wo das Team auf eigene Grenzen stieß, holte man sich die Expertise von außen.

Die Vorteile: Für die Kunden bedeutet die Reduzierung der Hardware vor allem ein Kostenvorteil. Sie profitieren aber zudem auch von zusätzlichen Funktionen der Technik: So können sie bei Problemen am Müllcontainer – etwa bei Verschmutzung oder Vandalismus – ein Bild über die App an die Entsorger schicken. Auch die Entsorgungsunternehmen können mithilfe der App ihre Routen besser planen, da sie damit wissen, wie voll die Container bereits sind.

Intelligente Müllentsorgung

Fallbeispiel 2: Videobrille für bessere Kundenkommunikation
Das Unternehmen: Die Beumer Group ist spezialisiert auf Intralogistiksysteme wie Gepäckabfertigungen und beschäftigt ca. 4.200 Mitarbeiter.

Das Digitalisierungsprojekt: Um den Kundendienst zu verbessern, entwickelte Beumer eine Videobrille, mit der die Kunden mit visueller Unterstützung den Kundendienst kontaktieren können.

Die Umsetzung: Bei der Umsetzung setzte Beumer auf ein Start-up. Wichtig war es für das Unternehmen auch, die eigenen Mitarbeiter so früh wie möglich mit an Bord zu holen.

Die Vorteile: Probleme einer Anlage lassen sich über Telefon nur schwer beschreiben. Mithilfe der Videobrille kann der Kundendienst das Problem begreifen, ohne vor Ort zu sein. Zudem können dem Kunden in der Videobrille Anweisungen eingespielt werden, damt er selbstständig das Problem lösen kann.

Die Arbeitsmarktstudie zeigt, dass durch den technischen Fortschritt in der IT genauso wie im Finanz- und kaufmännischen Bereich neue Profile entstehen oder bestehende Spezialisierungen stärker nachgefragt werden.

Smart Glasses im Kundenservice

Fallbeispiel 3: Cloud-Plattform schafft neue Anwendungsfelder
Das Unternehmen: Die BHS Corrugated Maschinen- und Anlagenbau GmbH beschäftigt über 1.900 Mitarbeiter und ist Lifecycle-Partner in der Wellpappenindustrie. Ihr Produkt- und Leistunsspektrum ist sehr groß.

Das Digitalisierungsprojekt: Das Unternehmen entwickelte eine eigene Cloud-Plattform, um bei den Anlagen ihrer Kunden schneller auf Wartungs- und Störungsfälle aufmerksam werden. Die Daten der Anlagen werden dabei auf der Industrial-Industry-of-Things-Plattform (IIoT) gespeichert und ausgewertet.

Die Umsetzung: BHS hat zur Umsetzung ein eigenes Corporate Start-up im Unternehmen gegründet. Der neue Bereich hatte die Freiheit, sich nur mit der IIoT-Plattform zu beschäftigen.

Die Vorteile: Mit der Plattform erfährt das Unternehmen wesentlich früher, wenn Probleme an einer Maschine vorliegen. Aber das Projekt ging weit darüber hinaus: Mit den analysierten Daten auf der Cloud-Plattform konnten die Kunden eigene Engpässe in der Produktion erkennen und neue Potentiale nutzen. Das führte zu einem enorm positiven Kundenfeedback und schließlich zu neuen Geschäftsfeldern bei BHS.

Cloud Plattform

Fallbeispiel 4: Internes Wiki sorgt für bessere Projektabläufe
Das Unternehmen: Die Stoll Gruppe bietet Projektlösungen in Bereichen der Gebäudetechnik, dem Schaltanlagenbau, der Automation und mehr. Etwa 180 Mitarbeiter beschäftigt das Unternehmen.

Das Digitalisierungsprojekt: In den zahlreichen Kundenprojekten wollte das Unternehmen eine bessere Prozessstabilität und -dynamik einbringen. Dazu setzte das Unternehmen ein internes Nachschlagewerk in Form eines Wikis um.

Die Umsetzung: Die Ausführung des Wikis dauerte länger als geplant. Auch war es nicht einfach, alle Mitarbeiter intern zu überzeugen, das neue Nachschlagewerk zu nutzen. Doch einige Schlüsselpersonen im Unternehmen, die mit gutem Beispiel vorangingen, unterstützten das Projekt. Wichtig für Stoll war es, nicht auf kurzfristige Erfolge zu setzen, sondern das Projekt langfristig zu begleiten.

Die Vorteile: Der Projektablauf ist mithilfe des Wikis enorm verbessert worden, da nun alle Mitarbeiter Zugriff auf dieselben Informationen haben. Dadurch kann sich jeder jederzeit alles besorgen, was er für sein Projekt braucht. Sowohl die Kundenzufriedenheit als auch die Qualität der Projekte ist damit enorm gestiegen.

Unternehmens-WIKI

Fallbeispiel 5: Familienanzeigen online einbinden
Das Unternehmen: Die NWZ Mediengruppe ist ein großes Medienunternehmen in Nordwest-Niedersachsen, NWZ Digital ist die Beteiligungsholding der Mediengruppe.

Das Digitalisierungsprojekt: Familienanzeigen, etwa zur Hochzeit oder bei Trauerfällen, sind ein wichtiger Zweig bei Tageszeitungen. NWZ Digital wollte die Anzeigen auch online verfügbar machen.

Die Umsetzung: Zur Umsetzung arbeitete das Unternehmen mit einem Start-up zusammen. Das hat ein Anzeigenportal entworfen, mit dem die Familienanzeigen auch online erscheinen konnten. Die interne Einbindung in der NWZ Mediengruppe war vor allem im Vertrieb nicht einfach – die Mitarbeiter mussten zunächst sensibilisiert werden.

Die Vorteile: Das Anzeigenportal des Start-ups funktioniert so gut, dass eine White-Label-Lösung daraus entstand, die das Medienunternehmen weiterverkaufen kann. Inzwischen ist die Lösung in zahlreichen deutschen Medienhäusern und einigen europäischen vertreten.

Online Plattform